Ein 21 Meter hoher, grauer Kasten erhebt sich zwischen Wäldern und Rapsfeldern. Drinnen surrt und klappert es überall. Roboter mit Greifarmen – flache, in die Breite gezogene Obelisken, gut 20 Meter hoch – sausen auf Schienen zwischen haushohen Regalen hin und her. Was sich gut verkauft, das kommt nach vorn. Was sich schlecht verkauft, muss nach hinten. Unaufhörlich rollen graue Kisten durch ein Labyrinth aus Fließbändern. Sie werden zwar noch von Menschen befüllt. Aber rote Lichter und Bildschirme zeigen an, was der Kunde bestellt hat. In die eine Kiste greifen, in die andere Kiste legen. Auf „Bestätigen“ drücken. Und die Ware saust davon. Vollautomatisch.

1954 von Hans Thomann senior gegründet, ist Thomann, mit Sitz in der 170-Seelen-Gemeinde Treppendorf bei Bamberg, zu Europas größtem Versandhändler für Musikinstrumente gewachsen. Gut 1100 Mitarbeiter, 600 Millionen Euro Umsatz jährlich. Im Logistikzentrum werden bis zu 15 000 Pakete pro Tag gepackt und verschickt. Ohne Roboter wäre das unmöglich.

Es passiert schon wieder. Erst hat das Internet unsere Welt, unser gesamtes Leben grundlegend verändert. Und nun beginnt die nächste große Revolution: ein gigantischer Umbruch in der Wirtschaft und Arbeitswirklichkeit. Dank moderner Roboter, selbstfahrender Autos, künstlicher Intelligenz, 3-D-Druck, Big Data.

Industrie 4.0 nennt sich das dann – und der renommierte US-Wissenschaftler Vivek Wadhwa (s. Interview Seite 70) verkündete in einem Gastbeitrag für die „Huffington Post“ bereits: „Willkommen am Vorabend des Roboter-Zeitalters.“

Die Vorstufen dieser Ära werden immer sichtbarer. Bei Thomann in Franken. Beim Online-Händler Amazon, der bereits 15 000 Transportroboter durch seine Logistikzentren fahren lässt. Oder beim taiwanesischen iPhone-Produzenten Foxconn, der in einem ersten Schritt 30 Prozent seiner Belegschaft durch Roboter ersetzt. Fabrikarbeiter, auch Taxifahrer, Buchhalter, Immobilienmakler, Aktienanalysten, sogar Journalisten: Kaum ein Arbeitsplatz wird von dieser Revolution auf Dauer unberührt bleiben.

In Deutschland sind heute bereits fünf Millionen Jobs automatisierbar, hat das Mannheimer Forschungsinstitut ZEW errechnet. Nur wer mit der Zukunft geht, hat die Chance, seine Branche nicht wechseln zu müssen. „Arbeitslosigkeit entsteht nur, wenn sich die Beschäftigten nicht anpassen können“, sagt ZEW-Forscher Ulrich Zierahn. Anders formuliert: Wer seine Familie ernähren will, wird sich der Roboter-Invasion irgendwann beugen müssen.

Während Wissenschaftler schon recht sicher beziffern können, wie viele Jobs bedroht sind, lässt sich nur schwer abschätzen, wie viele neue Arbeitsplätze durch den rasanten technischen Fortschritt hinzukommen.

Klar ist: Arbeitsplätze werden vor allem für Menschen entstehen, die besonders gut mit intelligenten Maschinen umgehen können, sie also programmieren, bedienen oder ihre Ergebnisse interpretieren.

Die wichtigsten Jobs der Zukunft heißen Daten-Analyst, Software-Entwickler oder Experte für „User Experience“, Neudeutsch für Nutzererfahrung. Und den wahrscheinlich sichersten Job der Welt haben – natürlich – die Entwickler von Robotern.

„Ihr Gehalt hängt künftig davon ab, wie gut Sie mit Robotern zusammenarbeiten“, sagt auch der US-Zukunftsforscher Kevin Kelly. Nicht nur teamfähig sollen die Beschäftigten der Zukunft sein, sondern auch roboterfähig. Wer nun glaubt, technischer Fortschritt finde vor allem in den Fabrikhallen statt, der irrt. Die wirkliche Umwälzung geschieht in den Büros.

Mehr als 60 Prozent aller Vollzeitbeschäftigten in Deutschland brauchen für ihren Job einen Computer. Wer vor dem Rechner aber nur manuell Daten verarbeitet, könnte schon bald von eben- jenem ersetzt werden. Wie hoch dafür die Wahrscheinlichkeit ist, hat unter anderem die ING-Diba errechnet (s. Seite 69). „Besonders gefährdet sind jetzt die Routine-Jobs der Wissensarbeiter, zum Beispiel Buchhalter“, sagt der MIT-Forscher Andrew McAfee.

„Machine Learning“ ist so ein Jahrhundertbegriff. Roboter merken sich Anwendungsbeispiele, erkennen Gesetzmäßigkeiten und können so neue Situationen meistern – ganz ohne menschliche Hilfe. Der nächste Schritt heißt „Deep Learning“: Computer und Roboter sollen Klänge oder Bilder erkennen.

„Deep Learning“ steckt noch in den Anfängen, aber Google und Apple haben ihre Spracherkennungssysteme dadurch bereits wesentlich verbessert. Bald könnte die Technik viele Dolmetscher ersetzen. „Fremdsprachenkenntnisse sind nicht mehr wichtig, da Maschinen schon ziemlich gut übersetzen können und immer besser werden“, sagt etwa Matthias Hagen, der erste Professor für „Big Data“ in Deutschland.

Es geht noch weiter: Die Digitalisierung führt zu einer Rationalisierungswelle bei den „White-Collar-Jobs“, den indirekten Tätigkeiten in der Verwaltung, glaubt Thomas Bauernhansl, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung in Stuttgart. Er sagt voraus: „50 Prozent aller Arbeitnehmer müssen sich neue Aufgaben suchen.“

Die Wissenschaftler Carl Benedikt Frey und Michael Osborne haben mit Hilfe von Robotik-Experten ebenfalls eine Liste der Jobs aufgestellt, die in den kommenden zwei Jahrzehnten höchstwahrscheinlich von Maschinen erledigt werden können. Die Ergebnisse decken sich mit jenen der ING-Diba-Studie: Neben Kredit-Analysten in Banken müssen auch Disponenten in der Logistik, Kassierer, Buchhalter, Makler, auch Chauffeure und Busfahrer um ihren Job fürchten. Sogar Verkehrspolizisten und Piloten.

Prinzipiell gilt: Je schlechter die Schulausbildung, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass man ersetzt wird. 80 Prozent ohne Abschluss, aber „nur“ 18 Prozent mit Promotion.

Ähnlich deutlich verhält es sich mit dem Einkommen: Zehn Prozent der Beschäftigten im untersten Lohnsektor weisen eine Wahrscheinlichkeit von 61 Prozent auf, während die Jobs der Gutverdiener am oberen Ende nur mit einer 20-prozentigen Wahrscheinlichkeit der Technik zum Opfer fallen, stellen die ZEW-Forscher fest.

Aus der Liste der ING-Diba geht hervor: Von den 30,9 Millionen in der Studie berücksichtigten sozialversicherungspflichtig und geringfügig Beschäftigten in Deutschland werden 18 Millionen in den kommenden Jahren und Jahrzehnten durch Roboter und Software ersetzt. Mehr als die Hälfte.

Einer der ersten Protagonisten dieser Ablösung wurde nach jenem römischen Kaiser benannt, der den Hadrianswall bauen ließ. Der Hadrian des 21. Jahrhunderts kommt aus Australien, hat einen Teleskoparm, 28 Meter lang, und arbeitet trotzdem auf 0,5 Millimeter genau. Der Bauroboter der Firma Fastbricks Robotics greift auf 3-D-Baupläne zu, die Konstrukteure in der sogenannten Computer-Aided-Design-Software (CAD) hinterlegt haben.

Hadrians Greifhand nimmt sie auf, kürzt sie, falls nötig, lässt Mörtel darauf fließen und setzt sie an die richtige Stelle. Der Roboter schafft 1000 Ziegel pro Stunde, immer noch über 250 mehr als die schnellsten Bauarbeiter. Nur zwei Tage hat er in einem ersten Anlauf gebraucht, um ein ganzes Haus zu mauern. Es ist wie Lego im Marathon-Modus spielen, nur größer. Nur ohne Menschen.

Laut einer aktuellen Umfrage der Stellenvermittlung Monster sehen 40 Prozent der Deutschen ihren Job bereits von der Automatisierung bedroht. Doch für Panik sei es noch zu früh, versucht Werner Eichhorst vom Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) zu beruhigen. Nur weil künstliche Intelligenz vermehrt in den verschiedenen Berufsfeldern zum Einsatz kommt, heiße das noch lange nicht, dass sie sich auf Dauer auch wirklich überall durchsetzt, glaubt der Soziologe.

Ein Blick nach Japan. „Herzlich willkommen im ,Henn-na-Hotel’“, sagt Yumeko mit der typischen Piepsstimme junger Japanerinnen. Umgerechnet etwa 68 Euro kostet das Doppelzimmer hier – knapp ein Drittel dessen, was ähnlich ausgestattete Hotels in der Nähe verlangen. Denn Yumeko und ihre Robo-Kollegen ersetzen zwei Drittel der menschlichen Mitarbeiter. So ist der gesamte Kundenkontakt in Roboterhand. Die Maschinen werden ein neues Zeitalter ultrabilliger Luxushotels einläuten, prophezeit die Betreiberfirma Huis ten Bosch.

Das allerdings sind Zukunftsszenarien, die Ökonom Zierahn – zumindest für Deutschland – bezweifelt: Wer wolle schon, dass menschliche Nähe künftig komplett durch Roboter ersetzt wird?

Auf der Liste der ING-Diba, ebenso auf der Frey/Osborne-Liste, stehen auch sichere Jobs: darunter kreative, aber auch soziale Berufe sowie Wissenschaftler. Auch Menschen mit ausgeprägten sensomotorischen Fähigkeiten, etwa Physiotherapeuten, müssten sich, glaubt man den Ergebnissen, keine Sorgen machen.

In den Fabrikhallen hat man schon begonnen, sich mit der Zukunft abzufinden – und mehr. Im Audi-Werk in Ingolstadt etwa arbeitet ein Roboter, der denkt und fühlt. Er weiß, wann ein Teil am Montageband benötigt wird und wann er gewartet werden muss. Die Audianer stören sich nicht an dem Kollegen aus Computerchips und Drähten. Sie haben ihn liebevoll „Adam“ getauft. Der Erste seiner Art.

Je stärker ein Unternehmen im globalen Wettbewerb steht, desto größer ist der Druck zur Rationalisierung, weiß Fraunhofer-Experte Bauernhansl, und der VW-Personalvorstand Horst Neumann rechnete schon Anfang des Jahres vor: „In der deutschen Automobilindustrie liegen die Arbeitskosten je Stunde bei mehr als 40 Euro. In China noch unter zehn Euro. Ein Roboter am Band kostet aber nur fünf Euro je Stunde.“ Wegen der hohen Lohnkosten könnte Deutschland sogar einer der Profiteure der Roboterinvasion werden, weil die Wettbewerbsfähigkeit weiter überdurchschnittlich steigen würde.

Im Logistikzentrum in Franken, zwischen Wäldern und Rapsfeldern, lehnt Alexander Schell locker über dem Geländer. Der Thomann-Projektmanager hat gerade erst mit der Planung eines weiteren Logistikzentrums begonnen. Gleich nebenan. Thomann verzeichnet immer noch ein jährliches Wachstum von zehn Prozent.

Während Schell zufrieden zusieht, wie seine Maschinen einsortieren, umsortieren, aussortieren, sagt er ganz nebenbei, halb im Spaß: „Wo genau was steht, weiß eigentlich nur der Roboter.“ Hier, im hinteren Teil der Halle, hört man ansonsten keine Menschen reden. Es surrt und klappert überall.

 

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