Ich bin kein Freund von Superlativen im Journalismus. War ich nie. “Ein Video, das zu Tränen rührt” oder “Der traurigste Tag ihres Lebens” – geschenkt. Und ich bin kein Freund davon, wenn Medien versuchen – vor allem Online-Medien und die Klatsch-Presse – Emotionen und Gefühle zu diktieren: “grausam”, “brutal”, “unfassbar”, “schockierend”. Ich bin überzeugt davon, dass der Journalismus auch angesichts der vermeintlich größten Tragödie (“aller Zeiten”) nüchtern bleiben muss. Und doch gebe ich zu: Was am Mittwoch in der Redaktion von “Charlie Hebdo” passiert ist, hat mich nicht kalt gelassen, nicht nüchtern, nicht objektiv. Es hat mich wirklich traurig gemacht.
Fünf Stunden, eine gefühlte Ewigkeit, flimmerten französische Live-Berichte über die Bildschirme der Redaktion, in der ich gerade hospitiere. Ich kann kein französisch, aber ich habe die Bilder gesehen. Tatsächlich, man konnte fast spüren, dass die französische Presse unter Schock steht, oder vielleicht habe ich in diesen Momenten nur mein eigenes Innenleben auf die Männer und Frauen projiziert, deren Sprache für mich nur Kauderwelsch ist, und deren Leben doch so viele Parallelen zu meinem aufweisen. Und ich habe – eigentlich durch Zufall, was es fast noch makaberer macht – dieses Video gesehen.
Zwei maskierte Terroristen – kranke Arschlöcher um genau zu sein – schießen einen Polizisten nieder und einer der beiden jagt ihm, im Vorübergehen als würde er nur einen Kieselstein vom Gehweg treten, eine weitere Kugel aus seiner Kalaschnikow aus einem halben Meter in den Kopf. Ein junger Mann in Uniform, ein Toter, der zusammengekrümmt wie ein Embryo auf dem Asphalt gestorben ist. So nah liegen Leben und Tod beieinander. Kein Zynismus.
Von Selbstzensur und Bildern für die Ewigkeit
Wir haben uns entschieden zwei Dinge trotz Live-Ticker und einem Hintergrund-Bericht nach dem anderen, nicht zu zeigen: Dieses Video und die heftigsten Karikaturen aus der Feder von Charlie Hebdo mit ihrem getöteten Chefredakteur Stephane Charbonnier alias “Charb”. Die erste Selbstzensur halte ich für richtig. Der zusammengekrümmte Polizist auf dem Asphalt, die Kugel aus nächster Nähe. Ich werde dieses Video – und das ist kein Superlativ – nicht vergessen.
Ebenso wenig wie die unzensierten Bilder der Hinrichtungen durch den Islamischen Staat im Irak. Männer, die knien. Schüsse aus nächster Nähe in die Hinterköpfe. Ein untersetzter Mann in der Mitte, mit Dreitage-Bart und ängstlichem Blick, spuckt Blut. Dann fällt er in sich zusammen. Wie dieser Polizist auf den Straßen von Paris, nur irgendwo in der irakischen Wüste.
Bei Gott, ich kann nur erahnen, wie es den Kollegen oder unbeteiligten Zivilisten gehen muss, die diese Dinge live erleben, unzensiert, die die Emotionen spüren können und die Angst. Und die Hilflosigkeit, weil es Dinge gibt, die man einfach nicht ändern kann. Weil manche Menschen manchmal einfach nur mit den falschen Menschen am falschen Ort sind, und der Schutzengel sich verpisst.
Ich halte die Selbstzensur, was solche Videos betrifft, für richtig. Wer solche Bilder wirklich sehen will, der findet sie ohne Probleme. Für alle anderen muss die Nachricht, müssen die Pixel und Cuts reichen. Wirklich: Ich will nicht dafür verantwortlich sein, dass sich solche Bilder in Köpfe einfressen, die mit ihrer Verarbeitung nicht klar kommen. Das wollen auch die Kollegen nicht. Sensation, Klicks, hin oder her.
Obwohl ich an dieser Stelle sagen muss, dass die Zensur, gerade was die Konflikte dieser Welt betrifft, immer wieder absurde Formen annimmt. Ich spreche von Kollegen, die fünf oder zehn oder 20 Kilometer von Blut und Tod entfernt stehen, aber aus dem “Kriegsgebiet” berichten. Die Zensur wird dann zur Farce, wenn wir Gewalt, Mord, Krieg nur noch auf Lichtkugeln am Horizont beschränken. Aber darüber vielleicht an anderer Stelle mehr – oder auch nicht.
“Feige Mörder!”
Die zweite Selbstzensur, um wieder zu Charlie Hebdo zu kommen, sehe ich anders und ich bin überzeugt, dass es falsch ist, Mohammed-Karikaturen nicht zu zeigen. Ich, und nur ich, hätte es viel mehr als ein Statement verstanden, diese Zeichnungen erneut zu publizieren. Im besten Fall in einer Galerie mit 40 Bildern oder auf dem Cover eines Magazins. Schön neben- und untereinander.
Es wäre eine Nachricht an die ganzen radikalen Arschlöcher da draußen gewesen: Ihr stellt den Säkularismus, die freie Welt, die freie Presse und freie Meinung nicht infrage. Ihr seid es nicht, die uns diktieren, was wir publizieren dürfen und was nicht. Ähnlich der Headline der BILD einen Tag nach dem Attentat. “Feige Mörder!”, mit Ausrufezeichen. Das nenne ich eine Message.
Aber ich sage auch, dass ich die Entscheidung, die Karikaturen nicht zu zeigen, verstehen kann und die Argumente die dahinter stehen. Das tragendste Argument ist sicherlich eines, dass ich heute gehört habe: “Es gibt viele Menschen, die den Anschlag verurteilen und die Provokation durch solche Karikaturen ebenso.” Wie gesagt, ich verstehe das Argument, kann es nachvollziehen. Was nicht heißt, dass es mich überzeugt. Aber die Frage “Ja oder Nein” habe ich nicht zu entscheiden. Auch das hat etwas mit Solidarität zu tun. Mit einer zu den eigenen Kollegen und Vorgesetzten.
Hirnlose Debatten und persönliche Rachefeldzüge
Was ich jedoch als pietätlos und obendrein geistlos empfinde, ist eine Diskussion, die sich einen Tag nachdem mit die kreativsten Zeichner Frankreichs und ein Polizist hingerichtet wurden, angestoßen werden. Schlagzeilen wie “Der Anschlag ist wie Feuer auf die Mühlen von Pegida”, (ja, Feuer!) oder “Diese Gesichter zeigen, dass der Islam keine gewalttätige Religion ist” lassen die grausame Tat – anders kann ich sie nicht nennen – in hirnlose Debatten über Interpretationen, medialen Rachefeldzügen und einer Gut-und-Böse-Mentalität verschwimmen. Manch einer sucht die Schuldigen dann gar dort, wo seine Gegner sitzen: In Demonstranten, Politikern, Weltverschwörern.
Um eines klar zu stellen: Der Islam ist keine friedliche Religion, sondern eine gewalttätige. Es ist eine Religion, die ihren Ursprung in einer Bekehrung durch Feuer und Schwert hat. Das Christentum ist keine friedliche Religion, sondern eine gewalttätige. Eine Religion, die über hunderte Jahre auf eine Bekehrung durch Feuer und Schwert setzte. Auch das Judentum ist keine friedliche Religion, sondern eine gewalttätige. Eine Religion, die ihren Ursprung im Alten Testament hat, mit dem Bild eines rachsüchtigen und brutalen Gottes, der ganze Völker ausrottet, weil sie nicht seinen Wünschen entsprechen und seinen Regeln nicht folgen.
Diese sogenannten Weltreligionen mit ihrer diktierten Unterwerfung, all dem Blut an den Händen sind nicht friedlich und waren es auch nie. Und sollte es einen Schöpfer geben, der allwissend ist, dann wird er sicher nicht danach urteilen, wer wie oft gebetet, wer wie viel Geld in den Klingelbeutel geschmissen hat. Nicht danach, wer sich immer brav verschleierte, getauft wurde oder Keusch war bis zur Ehe. Sondern nur danach, wer sein Leben gut und aufrichtig lebte. Mit Respekt vor dem eigenen und dem Leben der anderen.
Ideologien sind immer gewalttätig
Bis dahin: Nur die Menschen, die ihre Religion ausüben, können ihr die Aggression nehmen. Und das schaffen sie nur, wenn sie ihre Religion nicht in den Mittelpunkt ihres Lebens stellen. Ich bin überzeugt: Sobald eine Ideologie wichtiger wird als der gesunde Menschenverstand, als der Wunsch nach einem friedlichen, gleichwertigen Zusammenleben, sobald eine Religion oder Ideologie in den Vordergrund und der Mensch und seine kritische Selbstreflektion in den Hintergrund treten, ist Gefahr im Verzug. Immer. Ausnahmslos.
Manche schließen andere Menschen nur aus, weil sie ihren Überzeugungen vom Menschsein nicht entsprechen – politisch oder religiös. Manche versuchen anderen ständig ihre Überzeugungen aufzuzwingen – politische oder religiöse. Und wieder andere maskieren sich, bewaffnen sich mit Kalaschnikows, dringen in Redaktionen ein und töten Menschen als würden sie gerade einen Kieselstein vom Gehweg treten. Es gibt nur einen wirklich friedlichen Glauben: Der Glaube an das Gute im Menschsein.