Der Himmel grau in grau über einer Stadt, die seit Monaten immer wieder montags überschattet wird, von Pegida und Protesten gegen die Bewegung. Es ist acht Uhr morgens als ich in Dresden übernächtigt aus dem Liegewagen steige. Junge Leute sitzen vor dem Bahnhof auf dem Boden, Teekanne in der Hand, „Gegen Nazis“-Patch auf Jacken und Rucksack. Ein Mädchen ist dabei, 1,60 Meter groß, blond gefärbte Haare, ganz hübsch eigentlich. Die „Morgenpost“ titelt: „Dresden im Ausnahmezustand“, dazu ein Live-Ticker. Bleib doch bitte zu Hause, Mädchen, denke ich.

erschienen im EGO-Magazin 

Nach einer kurzen Taxifahrt komme ich am Hotel an. Gegenüber steht die Dresdner Staatsoper, an deren Fassade ein großes Transparent hängt. „Für ein weltoffenes Dresden“ steht darauf. Gut 20 Fußminuten entfernt, an der Flutrinne, soll an diesem Montag im April der Niederländer Geert Wilders von der „Partei für die Freiheit“ bei Pegida sprechen. Von Kritikern als Islamhasser verschrien, von seinen Anhängern als mutiger Mann gefeiert. Mit seinen Reden gegen den Islam und eine – angebliche – Islamisierung Europas hat er es bis auf die Todesliste der Terror­organisation al-Qaida geschafft. Sein Buch „Marked for Death: Islam’s War against the West and Me“ wurde zum Best­seller.

 

Boko Haram und Islamischer Staat

Mein Handy klingelt. Die Jugend­organisation der Ahmadiyya-Gemeinde Deutschland steht seit Wochen immer samstags in der Prager Straße in Dresden. Der Imam Said Ahmad Arif begleitet die zwei Dutzend junge Männer. „Muslime für Frieden“ ist eine von vielen Straßenaktionen, in denen junge Gläubige – gemäßigte wohlgemerkt – versuchen, den Deutschen die Angst vor dem Islam oder zumindest einige Vorurteile zu nehmen.  „Natürlich ist das in Dresden noch mal etwas Besonderes“, sagt Imam Said. Er versichert, man habe bisher fast nur positive Erfahrungen gemacht.

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„Die meisten Leute sind froh, dass sich Muslime ihren Fragen stellen, auch den kritischen“, sagt er. Dabei ginge es weniger um die Rolle der Frau oder die Scharia, das islamische Gesetz. Viel mehr gehe es um Asylpolitik und Einwanderung und um das Image des Islam weltweit. Um Boko Haram in Nigeria, den IS in Syrien, um Konvertiten in Europa, die in den Dschihad ziehen, den Heiligen Krieg. Um jene islamistischen Extremisten also, ohne die es die „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (Pegida) vielleicht nie gegeben hätte.

Früher die 68er, heute Pegida

Vor meinem Hotel parken einige Polizei-Vans in Grün und Blau. Ich treffe meinen Fotografen, einen gebürtigen Dresdner. „Lügenpresse“ ist so ein Wort, das sich bei mir eingebrannt hat. Mit dem Kampfbegriff haben schon die 68er Stimmung gegen den Axel-Springer-Konzern gemacht. Zu Fuß gehen wir vorbei am spät­barocken Zwinger, einer Schlossanlage, und vorbei an der Zeitungsredaktion der „Morgenpost“. Ein zwei Meter großer Kerl mit Thor-Steinar-Pullover, einer bei Neo-Nazis beliebten Marke, kreuzt unseren Weg. Schwarz gekleidete Grüppchen von drei bis fünf Leuten kundschaften die Straßen aus. Wer hier links oder rechts ist? Schwer zu sagen.

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An einer Kreuzung stehen zwölf Polizeiwagen in einer Schlange. Die Beamten warten in Kampfmontur auf den Knall. Wir gehen vorbei am Protest von Grünen und SPD, die schön kitschig unter den Klängen von John Lennons „Imagine“ marschieren.
Die Polizei blockiert die Zugangsstraße zur Flutrinne, wo die Pegida-Veranstaltung stattfindet; Wasserwerfer stehen bereit.

Gegen Nazis und Antifa

Das Veranstaltungsgelände liegt ­unterhalb eines mittelgroßen Hügels. Parallel verläuft eine lange, halbhohe Brücke. Die Wiese ist mit Bauzäunen abgesperrt, drei Eingänge: Wer rein will, muss an den Ordnern vorbei. An der Flutrinne haben sich erst 1000 Leute, vielleicht ein wenig mehr, versammelt. 30 000 Demonstranten hatte Pegida angekündigt. Eine halbe Stunde vor offiziellem Beginn ist klar, dass es bei Weitem nicht so viele sein werden.

Ohne Probleme lassen uns Schränke mit kurz rasiertem Haar und Sonnenbrillen durch. Auch mein Fotograf stört die Ordner nicht weiter. Lügenpresse ja, aber ohne Be­richt­erstattung – möge sie gefallen oder nicht – wäre die Bewegung auch nie so groß, so bekannt geworden.

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Unterhalb des Hügels befindet sich eine tiefschwarze Bühne mit einer großen Leinwand daneben. Auf einem Transparent steht „Gewaltfrei & vereint gegen Glaubenskriege auf deutschem Boden!“. Dazu ein Strichmännchen, das Hakenkreuz, Sowjet-Stern, Antifa-Zeichen und IS-Logo in eine Mülltonne wirft. Ich gehe ganz nach vorne.

“Ami go home!”

Rechts neben mir erzählt ein Mann um die 40, welche Erfahrungen sein Großvater ­im Zweiten Weltkrieg mit den Russen ­gemacht hat. „Die waren mindestens genauso schlimm“, sagt er. Im Hintergrund wehen Russland-Fahnen, auf einigen Schildern steht „Ami go home!“. Am Bauzaun kauert eine ältere Dame im Trachtenhemd. Wie in Trance wedelt sie mit einer kleinen Schweiz-Fahne. Zwei ältere Herren in Hemd und Sakko debattieren über Studentenverbindungen und Burschenschaften.

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In der Menge wehen zwei „Gegen Nazis“-Flaggen. Außerdem Fahnen aus verschiedenen Bundesländern, von ­Bayern bis Nordrhein-Westfalen. Die Deutschland-Fahne sowieso, und eine mit linksbündigem Kreuz auf rotem Hintergrund. Zeichen des Widerstandes gegen Nazi-Deutschland vom Juli 1944. Stauffenberg in Dresden. Von der Bühne schallt „I’ve been looking for freedom“ von David Hasselhoff.

Wütend, aber harmlos

Wer glaubt, Pegida sei eine Ansammlung von aggressiven Neo-Nazis, der irrt. Das Publikum ist älter, als ich erwartet hätte. Einer hat einen Campingstuhl mitgebracht, um die zwei Stunden Protest nicht stehen zu müssen. Ein anderer macht Fotos mit einer Kamera, die an einer Krücke hängt. Manche Deutschland-Fahnen werden an Angelruten gehisst.
Der typische Pegida-Anhänger ist ein Manfred oder Gerhard, man findet ihn an Stammtischen genauso wie in Fabriken, in Ämtern oder sonstwo in Deutschland. Wütend ja, aber harmlos.

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Das Argument, in Dresden gebe es kaum Ausländer, zählt nicht für sie. Wut ist nichts Rationales, es ist ein Gefühl. Angst ebenso. Und wie will man jemandem überzeugend erklären, dass die Renten sinken, gerade im Osten ganze Städte sterben, kein Geld für Kindergärten und Schulen da ist, und Deutschland trotzdem ein Wohlstandstaat sein soll, der noch viel mehr Ausländer und Flüchtlinge aufnehmen könnte. Klar ist, Manfred und Gerhard fühlen sich sichtlich wohl in ihrer Rebellion gegen das linke Esta­blishment und die – zweifelsfrei – eher linkspolitische Presse: Hass muss man sich verdienen.

Beim Foul gegen die eigene Mannschaft

Gegen 18 Uhr betritt Pegida-Gründer Lutz Bachmann die Bühne: „So, liebe Freunde. Ist es nicht komisch, die Presse hat sich schon wieder abgestimmt und schreibt und sendet schon die ganzen letzten Tage, Pegida sei am Ende.“ Hämisches Gelächter. „LÜ-GEN-PRES-SE! LÜ-GEN-PRES-SE!“, hallt es über das Gelände und von der Brücke wider. Alle Pegida-Demonstranten brüllen im Chor. Und ich als Journalist mittendrin.

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Es sind Reizwörter, bei denen die Demonstranten „LÜ-GEN-PRES-SE!“, „VOLKS-VER-RÄTER!“ (Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich) oder „MERKEL-MUSS-WEG!“ skandieren. Ich fühle mich an die Sitzplätze im Fußballstadion erinnert, an die Reihen, in denen die alten Herren sitzen und schimpfen, wenn der Schiri ein Foul gegen die eigene Mannschaft pfeift. ­Dazwischen nur schweigen, genießen, dabei sein eben. Flagge zeigen.

Astreiner Louis-van-Gaal-Akzent

Hinter der Bühne fahren drei Limousinen mit Blaulicht vor. Geert Wilders betritt das Podest, seine blondierten Haare stehen in krassem Kontrast zum perfekt sitzenden schwarzen Anzug. Pegida empfängt ihn wie einen Kriegshelden, der seit Jahren für das christ­liche Europa kämpft. Er spricht Deutsch mit astreinem Louis-van-Gaal-Akzent.

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„In den letzten 22 Wochen habt ihr euch hier Montag für Montag mit Tausenden deutschen Patrioten versammelt. Bei schlechtem Wetter, bei gutem Wetter, im strömenden Regen, bei stürmischem Wind. Dresden zeigt, wie’s geht!“ Pegida jubelt.
Wilders weiß um rhetorische Mittel, die seinen Worten mehr Nachdruck verleihen: „Wenn ihr euren Mann liebt, wenn ihr eure Frau liebt, wenn ihr eure Kinder liebt, dann schlagt ihr Alarm!“, ruft er. Und: „Nicht alle Muslime sind Terroristen, aber die meisten Terroristen sind Muslime!“ Pegida jubelt.

“Wie geil ist das denn!”

Syrische Flüchtlinge, sagt er, sollten in ihrer Region betreut werden und nicht in Europa. Später am Abend sagt Tatjana Festerling, Bürgermeisterkandidatin aus den Pegida-Reihen, man müsse sich in Deutschland um Kriegsflüchtlinge kümmern, aber nicht um Wirtschaftsflüchtlinge. Pegida jubelt beide Male. Es geht nicht um konkrete Inhalte, sondern um Feindbilder und die Wut auf ein ganzes Land, das von Anfang an aus der Ferne berichtete, dem Dialog mit den Demonstranten ausgewichen ist. Auch Politiker, deren Aufgabe es eigentlich sein sollte, den Dialog mit ihren Bürgern aktiv zu suchen. Aber es geht auch um Wut, die wohl längst Hobby und Zeitvertreib geworden ist. Um Protest als Passion.

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Die Pegida-Demonstranten haben ein Zuhause unter Gleichgesinnten gefunden. Ein junger Mann lässt sich von einem Kumpel auf die Schultern nehmen. „Wie geil ist das denn!“, ruft er. Wer mittendrin steht, spürt keinen Unterschied zwischen den 4000 bis 7000 Demonstranten an diesem Montag oder den 30 000, die angekündigt waren. Nach 25 Minuten verschwindet ­Wilders wieder. Manfred und Gerhard bleiben. Nicht im schicken Anzug. Ohne Bestseller. Aber mit dem guten Gefühl, dass das christliche Europa sie weiterhin braucht. Ganz bestimmt.

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