Es ist tatsächlich wenig überraschend, welche Reaktionen der #Brexit bei Politikern, Journalisten, dem einfachen Facebook-User und auch an den Mittagstischen der Verlagskantine hervorgerufen hat. Meist lautet die einhellige Meinung: Wer für den Brexit ist, der kann nur dumm sein, uninformiert, ein Abgehängter.

Jedenfalls: In seiner jüngsten Kolumne auf SPIEGEL Online bringt es Jan Fleischhauer ziemlich gut auf den Punkt. Er schreibt: „Aber dass auch jemand mit Hochschulabschluss und einem Job mit Perspektive gegen die EU gestimmt haben könnte, scheint einfach nicht vorstellbar. Wenn Leute freiwillig einen Club verlassen, den die anderen Clubmitglieder als Himmel auf Erden preisen, lässt sich eine solche Kränkung am ehesten verkraften, indem man die Zurückweisung mit der Beschränktheit der Neinsager erklärt.“

„Den Club verlassen“ ist ein schönes Stichwort, das ich an dieser Stelle gerne aufgreifen möchte. Manch einer glaubt ja immer noch unbeirrt, die Briten hätten in der Mehrzahl gegen Europa gestimmt, gegen die gemeinsame Idee von Frieden und Wohlstand, aber für die Isolation und das Ewiggestrige. Das ist natürlich Unsinn.

Denn die Briten haben nicht gegen Europa gestimmt, sondern gegen die EU. Das eine ist die gute Idee, in Frieden und Wohlstand zu leben, in guter Nachbarschaft, das andere ist das Bürokratie-Monster, von dem sogar der unerschütterliche Optimist Martin Schulz eingestehen musste, dass es zu sehr eingegriffen, ja, in den vergangenen Jahren überreguliert hat.

Im Klartext heißt das: Die EU hat zuletzt vermehrt die Souveränität der einzelnen Länder angegriffen. Und dieses „zuletzt“ lässt sich sogar ziemlich genau terminieren: Es war einmal das Jahr 1993 als die EG durch die Verträge von Maastricht zur EU wurde und künftig mehr politischen Einfluss ausüben wollte als „nur“ für Frieden und Wohlstand mit Hilfe von Handel und Dialog zu sorgen. Der Anfang einer unschönen Geschichte, für die der Verfasser nun die Quittung in Form des Brexit bekommt – und bei der einen Konsequenz wird es mit Blick auf Frankreich und Holland wohl nicht bleiben, wo bereits die Grundsteine für ein eigenes Referendum gelegt werden.

Da fällt mir noch ein: Im Deutschlandfunk lief heute morgen eine Diskussionsrunde zum Brexit. Ein Anrufer – ein in Deutschland lebender Brite – insistierte, dass die EU (unter anderem aus den oben genannten Gründen) ziemlich undemokratisch sei. Ein Gast in der Runde entgegnete, dass es doch absurd wäre, wenn bei allen EU-Regeln und -Vorstößen jedes einzelne Land entscheiden dürfte, was daraus in der Heimat wird.

Natürlich wäre das absurd, schließlich würde es das Prinzip EU de facto ad absurdum führen. Auf die Idee, dass genau die Vereinssatzung aber der Grund sein könnte, warum die Mehrzahl der Briten lieber aus der Spielvereinigung austreten und wieder zum reinen FC werden wollen, darauf kam der gute Mann nicht. Und auch nicht darauf, dass es völlig legitim ist, sich seinen Verein selber auszusuchen, wenn man mit den Regeln und Auswüchsen seines aktuellen Clubs nichts mehr anfangen kann, oder einzelne Facetten so sehr ins Gewicht fallen, dass man einen Verbleib nicht mehr mit den eigenen Vorstellungen und Überzeugungen vereinbaren kann.

Für den Brexit zu stimmen ist weder dumm, noch ewiggestrig, sondern aus diversen Gründen legitim. Gegen den Brexit zu stimmen im Übrigen genauso. Doch mal wieder wird die Debatte derart ressentimentgeladen geführt, dass man einmal mehr daran zweifeln muss, dass Deutschland noch das Land der Dichter und Denker ist. Die sitzen mittlerweile wohl eher auf den britischen Inseln und schreiben die ersten Zeilen Poesie über die Unabhängigkeit und darüber, dass die Nachbarn einfach nicht verstehen wollen, warum jeder Neuanfang nicht nur ein großes Risiko, sondern auch eine große Chance ist. Und ein bisschen romantisch.

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