In den vergangenen Monaten habe ich mich häufiger gefragt, welcher politischen Coleur ich eigentlich angehöre. Das ist nur menschlich. Egal ob konform oder rebellisch, revolutionär oder konterrevolutionär, man neigt einfach dazu, irgendwo dazugehören zu wollen oder muss sich gezwungenermaßen irgendwo einsortieren oder einsortieren lassen. Gerade dann, wenn man als Autor regelmäßig auf „umstrittenen“ Blogs „umstrittene“ Texte publiziert.

Gelebte Toleranz

Der Mensch ist ein Rudeltier. Und ganz ohne Gruppenzugehörigkeit – machen wir uns nichts vor – fühlt man sich manchmal einsam. Ja, man fühlt sich zuweilen wie eine Schnittlauch-Pflanze vom Discounter, die auf dem Fensterbrett einer ansonsten durch und durch unökologischen Studentenbude vor sich hin vegetiert. Da ist die Identitätskrise programmiert.

Manchmal ist die Antwort, auf welcher Seite man steht, recht einfach. Ich bin durch und durch Bayern-Fan, was man mir zwar in anderen großen Fußballstädten gerne übel nimmt, aber in meiner – wie es neudeutsch so schön heißt – Peer-Group in München nur selten. Ich habe sogar Freunde, also so richtige, die durch und durch Fans von Borussia Dortmund sind, mir meine rote Seele aber dankenswerterweise zugestehen. Ich hatte sogar mal einen Kurzeinsatz als eine Art Pressesprecher für einen BVB-Fanclub, dem einer meiner besten Freunde vorsteht. Das nenne ich gelebte Toleranz.

Auch in anderen Bereichen bin ich ziemlich gefestigt: Ich rauche am liebsten gelbe Camel, gehe lieber ins Wirtshaus als in Bars, lieber ins Kino als zu Poetry Slams, trinke Ouzu, keinen Jägermeister, und im Kaffee brauche ich Milch und Zucker, sonst schmeckts nicht. Aus einem vielleicht überbordenden Männlichkeitsgefühl heraus (Ich habe den Grünen bereits eine Anfrage für eine Diagnose gestellt) gehe ich nicht zum Yoga, sondern spiele lieber Fußball. Ich fahre lieber Tram statt U-Bahn, trage vor allem Basics in schwarz, dazu immer Jeans. Ich mag keine Anzüge, aber Leinenhosen – das gestehe ich ganz offen – sind der absolute Knaller. Rote Beete igitt, rote Paprika super.

Ich bin gebürtiger Bayer und es kommt ja nicht von ungefähr, dass die Stammtische hierzulande eine sakrale Einrichtung sind. Gruppenzugehörigkeit und so. Dass ich im Allgäu geboren bin, also ein bayerischer Schwabe, ist weniger schlimm, weil ich den schwäbischen Dialekt weitgehend abgelegt habe. Nur neulich blickte mich meine Freundin erstaunt und zugleich verwirrt, vielleicht auch ein bisschen angewidert, an, als ich meinte: „Dann musst du deine Glotzbäbberlen halt aufmachen!“. Der Spruch kommt von meiner Oma. Glotzbäbberlen sind Augen. Keine Garantie übrigens, dass man die Glotzbäbberlen tatsächlich so schreibt.

Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?

Kurzum: Eigentlich bin ich in meiner Persönlichkeit recht gefestigt. Nur die Sache mit der politischen Coleur gibt mir zu denken. Oder wie es der Philosoph Richard David Precht ausdrückt: „Wer bin ich – und wen ja, wie viele?“. Versuchen wir an dieser Stelle einmal, uns der Antwort auf die aktuelle Frage aller Fragen ganz offen und unvoreingenommen anzunähern.

Der erste konkrete Vorschlag kam von einem mir unbekannten Twitter-User, der meinte, ich sei ein „Rechtsextremist“. Wikipedia schreibt: „Rechtsextremismus dient als Sammelbezeichnung, um neofaschistische, neonazistische oder ultra-nationalistische politische Ideologien und Aktivitäten zu beschreiben. Deren gemeinsamer Kern ist die Orientierung an der ethnischen Zugehörigkeit, die Infragestellung der rechtlichen Gleichheit der Menschen sowie ein antipluralistisches, antidemokratisches und autoritär geprägtes Gesellschaftsverständnis.“ Und weiter: „Politischen Ausdruck findet dies in Bemühungen, den Nationalstaat zu einer autoritär geführten Volksgemeinschaft umzugestalten. Der Begriff „Volk“ wird dabei rassistisch oder ethnopluralistisch gedeutet“.

Ein Rechtsextremist scheine ich also nicht zu sein, sonst fände ich die Alleingänge der Kanzlerin ja mindestens super und die ganzen Zensurbehörden mit Heiko Maas als Zensur-Obermuffti auch. Fürs Protokoll: Der Autor wirft Angela Merkel und Heiko Maas an dieser Stelle keinen Rechtsextremismus vor. Es handelt sich lediglich um eine literarische Spitze, ein reines Stilelement. Danke für ihre Aufmerksamkeit – Anmerkung der Redaktion.

Ein moderner Konservativer

Im Gespräch mit einem Kollegen, dessen Versuch einer Selbsteinordnung in den Begriff „linksliberal“ mündete, kam ich neulich auf die schöne Formulierung, ich sei vielleicht ein „moderner Konservativer“. Nun mag der ein oder andere einwerfen, das sei eine ähnliche Formulierung wie „stiller Schrei“ oder „helle Nacht“, ein Oxymoron also.

Konservativ kommt von „konservare“, also von erhalten oder bewahren. Und bewahren will ich vielerlei: Zum Beispiel die Sicherheit, dass Recht und Gesetz immer gelten. Das Vertrauen, dass die Politik nur dann Veränderungen anstößt, wenn dadurch mittel- und langfristig nicht mehr Probleme, sondern weniger entstehen. Die Weitsicht, dass Utopien grundsätzlich zum Scheitern verurteilt sind. Das Wissen, dass Zeitgeist und Mode keine Gütesiegel sind. Schon gar nicht in der Politik. Und die Regel, dass in einer Maß Bier auch wirklich ein Liter Bier drin ist. Ja, ihr Wiesn-Wirte, ich habe Euch auf dem Schirm!

Und was macht mich – vielleicht – zu einem „modernen Konservativen“? Soll doch jeder lieben, wen er will. Tragen, was er will. Machen, was er will. Denken, was er will. Glauben, was er will. Solange er das allen anderen auch zugesteht und mit seiner Weltsicht niemandem auf die Nerven geht. Und schon sind wir beim nächsten Dilemma angekommen: Das würde wohl jeder fordern, der das Prinzip der Demokratie – wirklich – verstanden hat. Da wird doch der Hund in der Pfanne verrückt. Oder so ähnlich.

Was sagt das Internet?

Gut, wir haben bereits gelernt, dass man sich auf einen einzelnen Twitter-User nicht verlassen kann und dass digitale Institutionen wie Wikipedia alles nur noch viel komplizierter machen. Also greifen wir zum Nonplusultra des digitalen Zeitalters: Persönlichkeits-Tests auf Facebook.

Neulich schickte mir ein Freund einen Link zu einem Test, mit dem man seine „politischen Koordinaten“ bestimmen kann. Eine gute Sache, dachte ich. Man bekommt zwar keine konkrete Antwort, aber doch immerhin eine erste Orientierung, einen Ansatzpunkt. Ich bin ja auch nicht von heute auf morgen zum Bayern-Fan geworden. Etwa 30 Fragen und zwei Camel später lautete das Ergebnis: „Sie sind ein linker Kommunitarist“.

Betretenes Schweigen im Theater. „Hurra, ich bin ein Linker!“, entfuhr es mir dann lautstark. Endlich kann ich mit meiner Meinung ganz unbehelligt hausieren gehen, den Besserwisser geben, mich als vollwertiges Mitglied der Medienlandschaft betrachten, andere zensieren, in den „Kampf gegen Rechts“ ziehen, mich wieder auf die Straße trauen.

Da war er also, mein politische Ablassbrief, schwarz auf weiß. Wikipedia schreibt: „Der Ablassbrief bescheinigte dem Erwerber einen Ablass, das heißt den „Nachlass von auferlegten Strafen, die von dem Sünder nach seiner Umkehr noch zu verbüßen sind“. Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Maas. Amen.

 

 

Werbung