Das Bundesverfassungsgericht hat am Mittwoch entschieden, dass der Rundfunkbeitrag mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Private Haushalte und Unternehmen müssen also weiterhin 17,50 Euro pro Monat bezahlen, und zwar unabhängig davon, ob sie beispielsweise die Angebote der ARD, des ZDF, deren regionaler Ableger oder des Deutschlandradios nutzen oder nicht. Zur Begründung hieß es: „Die bundesweite Ausstrahlung der Programme gibt jedem in Deutschland die realistische Möglichkeit ihres Empfangs.“ Und weil das so ist, also die theoretische Möglichkeit einer Leistung besteht, geht die Abgabe für diese theoretische Leistung auch völlig in Ordnung. Die selbe Argumentation, anderer Fall: Wo eine Eisdiele steht, kann ein Eis gegessen werden, weshalb jeder, der in der Nähe wohnt, ein theoretischer Kunde ist und jeden Monat für ein theoretisches Eis bezahlen sollte. Laktoseintoleranz hin oder her.
Doch bei der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks geht es bekanntlich nicht um Logik, sondern um den Bildungsauftrag. Und weil es den gibt, müssen sich ARD und Co auch nicht am Markt behaupten, damit die Kasse klingelt. Stattdessen bekommen die Öffentlich-Rechtlichen Jahr für Jahr rund 8 Milliarden Euro vom Gebührenzahler geschenkt. Allein bei ARD und ZDF kommen nochmal zwischen 250 und 350 Millionen Euro pro Jahr an Werbeeinnahmen obendrauf. Eine ganze Menge Geld, das den ARD-Vorsitzenden Ulrich Wilhelm (Jahresgehalt: 367.000 Euro) aber nicht davon abhielt, Anfang des Jahres eine Erhöhung der Rundfunkgebühren zu fordern. Wilhelm: „Wenn wir keinen Teuerungsausgleich über drei Milliarden Euro bekommen, werden wir tief in unsere Programme schneiden müssen.“ Mal abgesehen von dem Begriff „Teuerungsausgleich“, der mir in dem Zusammenhang das erste Mal untergekommen war, war noch etwas anderes auffällig: Eine Antwort auf die Frage, wie genau sich diese dringend benötigten drei Milliarden Euro zusammensetzen, blieb Wilhelm auch auf Nachfrage schuldig. Eine reine Fantasiesumme?
An dieser Stelle möchte ich betonen, dass ich mich gar nicht so sehr an den Rundfunkgebühren störe. Ich höre regelmäßig Deutschlandfunk, wenn ich ich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs bin. Wenn ich Mal nicht weiß, was ich ansehen möchte, oder ich Gefahr laufe, dass es in mir allzu harmonisch zugeht, stöbere ich in den Archiven der verschiedenen Talkshows – und bringe mein inneres Ich durch Sendungen mit Claudia Roth wieder in Einklang. Und als vor gut zwei Jahren der Amoklauf in München stattfand und wir im Urlaub waren, konnte ich auf unserem Bett im Hotelzimmer die aktuellen Ereignisse live und in Farbe verfolgen, dank der ARD. Darüber hinaus waren ARD und ZDF während der Fußballweltmeisterschaft in Russland ohnehin fast jeden Abend eingeschaltet. Also warum nicht auch dafür bezahlen?
Nein, die Rundfunkgebühren stören mich gar nicht so sehr, obgleich ich es eine Frechheit finde, dass ein Haushalt mit zwei Vollverdienern die gleiche Abgabe zahlen muss wie eine alleinerziehende Mutter. Und obgleich auch ich der Meinung bin, dass man nur für Leistungen zahlen sollte, die man in Anspruch nimmt. Was mich jedoch viel mehr stört als die Gebühr, ist die unsägliche Selbstüberschätzung und – damit einhergehend – die offenkundige Arroganz zentraler Protagonisten des öffentlich-rechtlichen Apparats. So meinte etwa Deutschlandradio-Intendant Stefan Raue am Mittwochmorgen im Deutschlandfunk: „Es ist nicht nur die Überzeugung derjenigen, die für die Öffentlich-Rechtlichen arbeiten, dass unsere Gesellschaft immer weiter auseinander fällt. Da hat ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk, der alle ansprechen möchte, mit einem reichhaltigen Angebot, nach meiner Meinung eine große Bedeutung für die Integration einer Gesamtgesellschaft.“
Es ist die Lieblingsrolle der Öffentlich-Rechtlichen: Man präsentiert sich als unersetzbare Instanz im sachlichen Diskurs, als mediales Gegenmittel gegen Fakenews, Hass und Populismus, als letzte Bastion vor dem Demokratietod. Dass dies maximal stark eingeschränkt zutrifft, beweist Claus Kleber regelmäßig, wenn er im ZDF heute journal auf Donald Trump zu sprechen kommt. Dann paaren sich Pathos, Betroffenheit und Entrüstung im sanft-wilden Ringelpiez. Oder wenn Kai Gniffke, Chefredakteur von ARD-aktuell und somit auch der Tagesschau und der Tagesthemen, Sätze sagt wie „Der Rücktritt von Horst Seehofer wäre eine Befreiung für Deutschland“ und dass damit endlich “ein Ende der bajuwarischen Profilneurosen” gekommen wäre. Oder wenn sich ZDF-Hofnarr Oliver Welke in der heute show über einen stotternden AfD-Politiker lustig macht. Oder wenn Jan Böhmermann Mal wieder zum Kampf gegen Andersdenke aufruft. Oder wenn das vom Hessischen Rundfunk produzierte Kulturmagazin „ttt“ die „Gemeinsame Erklärung 2018“ zum Anlass nimmt, mit den Feinden der Demokratie abzurechnen. Nur eine kleine Auswahl großer demokratischer Bemühungen der öffentlich-rechtlichen Belegschaft.
Ich teile daher die Feststellung des Deutschlandradio-Intendanten, dass „unsere Gesellschaft immer weiter auseinander fällt“, und möchte anfügen, dass die Öffentlich-Rechtlichen ihren Anteil daran haben. Doch wo Selbstüberschätzung zuhause ist, wohnt die Unfähigkeit zur Selbstkritik gleich nebenan. Das ließ sich im Fall der Öffentlich-Rechtlichen selten so eindrucksvoll erleben wie Mitte 2017, als die ARD die viel beachtete Aktion „Sag’s mir ins Gesicht“ startete. Die dazugehörige Sendung war ein ziemlicher Reinfall, weil Moderatorin Anja Reschke ihre Kritiker lieber abwürgte als konsequent auf Kritik einzugehen. Oder wie es das Bundesverfassungsgericht ausdrücken würde: Immerhin gab es eine realistische Möglichkeit, dass Frau Reschke auf Kritik antwortet. Da haben sich die 17,50 Euro pro Monat doch gelohnt.