Die Migrationsfrage, sagte Horst Seehofer jüngst in einem Interview, sei die „Mutter aller politischen Probleme“. In der Folge hagelte es – wie eigentlich immer, wenn Seehofer sich zur Migrationsdebatte äußert – Rücktrittsforderungen. Auch die immer gleiche Platte von der AfD-Nähe und dem Applaus von der falschen Seite wurde aufgelegt. Die taz-Autorin Sibel Schick deutete Seehofers Satz gleich ganz besonders dramatisch. Schick schrieb auf Twitter, dieser Satz sei „ein offener Mord- und Vergewaltigungs-Aufruf“ gegen Migranten; was mich wiederum in meiner Theorie bestärkt, dass es quasi Grundvoraussetzung für eine hippe Jungfeministin im Kampf gegen Rächts sein muss, dass die eigenen Beiträge sich lesen wie eine Kreissäge klingt. „Kreischsägen“ nannte das ein Twitter-User. Gefällt mir.
Aber nicht nur die einschlägige Empörungsmaschinerie nahm verlässlich wie die Maurer wieder Fahrt auf. Auch der ein oder andere Journalist warf – auch das gehört bekanntlich längst zum Spiel – mal wieder die journalistische Sorgfaltspflicht über den Haufen. Denn aus dem Satz „Die Migrationsfrage ist die Mutter aller politischen Probleme“ wurde bei vielen Medien im Handumdrehen „Die Migration ist die Mutter aller politischen Probleme“ gemacht – und damit behauptet, Seehofer würde Zuwanderer per se für alle Probleme im Land verantwortlich machen. Zum Beispiel bei n-tv, bei Focus Online und selbstverständlich auch bei Spiegel Online. Aber eben nicht nur bei den üblichen Verdächtigen, sondern auch bei WELT online und – was mich als (noch) regelmäßiger Leser ganz besonders ärgert – sogar in der gedruckten Ausgabe der Frankfurter Allgemeine Zeitung vom Freitag, auf Seite 1 wohlgemerkt.
Das eine, das Orignal, mag der vielleicht etwas ungelenke Versuch einer politischen Analyse gewesen sein. Das andere, das erfundene Zitat aber, wäre eine Äußerung, die unter Umständen sogar den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllen könnte. Seehofers (Original-)Äußerung ist im Kern übrigens korrekt. Denn selbstverständlich lassen sich die meisten Probleme, vor der die Politik aktuell steht und über die wir nicht von ungefähr diskutieren, direkt oder indirekt auf die „Migrationsfrage“ zurückführen; der Brexit ebenso wie die Pegida-Aufmärsche in Dresden, die Antifa-Übergriffe auf AfD-Politiker ebenso wie die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten. Denn der Begriff meint ja nichts anderes als die aktuell ohnehin flächendeckend geführte Debatte darüber, wie Einwanderung in einem demokratischen Rechtsstaat gestaltet werden muss, wer dabei welche Verantwortung zu tragen hat – und wer dieser Verantwortung nicht gerecht wird, weil er – das nur als Beispiel – vielleicht lieber auf Ringelringelreihe-Utopien setzt als auf den gesunden Menschenverstand – und am Ende irgendwer stirbt.
Ach ja, die für Rechtsaußen wohl „Mutti aller Probleme“ äußerte sich übrigens auch zu Seehofers Zitat, wenn auch zum erfundenen. Die Migration, so Merkel laut FAZ, stelle „uns vor Herausforderungen. Und dabei gibt es auch Probleme. Es gibt aber auch Erfolge.“ Gut, dass Merkel drüber gesprochen hat! Denn damit dürfte die Migrationsfrage auch endlich geklärt sein.