Ende 2020 hat mich ein Medien-Redakteur der Die Rheinpfalz für ein Interview angefragt. Im Folgenden lesen Sie die ungekürzte Version.

Herr Krischke, laut der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ ist der Journalismus anno 2020 extrem unter Druck: Regimes treten immer dreister auf, der journalistische Kampf gegen Fake News wird eingeschränkt, die Gewaltbereitschaft gegen Medienschaffende wächst und traditionelle Medien-Geschäftsmodelle bröckeln. Wie sehr leidet darunter die unabhängige Berichterstattung?

Ben Krischke: Dass Regime oder einzelne Mächtige die Presse unter Druck setzen, ist kein neues Phänomen, und damit auch eines, mit dem sich der Journalismus immer irgendwie arrangiert hat. Die einheimischen Journalisten riskierten viel, oft aus dem Untergrund heraus, und Korrespondenten schmuggelten Texte mit der Hilfe von Diplomaten oder Negative gar mit Brieftauben außer Landes. Ich kenne einen Fotografen, der hat das tatsächlich noch erlebt. Welch ein Segen, dass es heute das Internet gibt. Symptomatisch für unser Zeit scheint mir aber, dass die unabhängige Berichterstattung nicht mehr nur von unten nach oben verteidigt werden muss, sondern zu allen Seiten, sogar nach innen. Ein Beispiel: Wenn Verlage kein Geld mehr für Vor-Ort-Recherchen bereitstellen, sind die Redaktionen auf Fremdmaterial angewiesen. Das kommt nicht selten von NGOs, Think Tanks und anderen Vereinen und Organisationen, die ihre eigenen Interessen verfolgen. Die müssen nicht anrüchig sein, vielleicht sind sie sogar ehrenwert, aber Unabhängigkeit heißt eben auch, sich nicht mit einer Sache gemein zu machen, auch nicht mit einer guten. Der Satz stammt nicht von mir, sondern natürlich von Hajo Friedrichs. 

Kennen Sie als Redakteur des Branchendienstes ‘Meedia‘ solche Situationen, in denen man Fremdmaterial verifizieren muss?

Ben Krischke: Na klar. Das Gute ist: Wenn man aus der Branche kommt, über die man schreibt, dann hat das den großen Vorteil, dass es schwieriger ist, uns Blödsinn zu erzählen. Wir kennen die Mechanismen, wissen, was es bedeutet, wenn Ressorts zusammengelegt werden oder wie sich Auflagenzahlen künstlich nach oben schrauben lassen. Als Medienjournalist lässt sich bei den allermeisten Informationen gut einschätzen, ob diese wirklich plausibel sind. Wenn Sie aber in Berlin sitzen und darauf angewiesen sind, dass ihnen eine Kontaktperson Informationen vom anderen Ende der Welt zukommen lässt: Wie wollen Sie diese dann wasserdicht verifizieren? Und wenn Sie in ihrer verkleinerten Online-Redaktion nur noch Generalisten haben, fehlen mitunter eben Fachleute, um etwa eine NGO-Studie über Mikroplastik auf ihre Plausibilität abzuklopfen. 

Hinzu kommt: Informanten oder Interviewpartner ziehen erteilte Freigaben zurück, klammern bestimmte Fragen aus, bestehen auf Vorab-Fragenkatalogen oder geben kritischen Journalisten gar keine Informationen und drohen bei Undercover-Recherchen mit Unterlassungserklärungen und einstweiligen Verfügungen – verliert die Pressefreiheit gegenüber an Persönlichkeitsrechten am eigenen Text und Bild zunehmend an Boden?

Ben Krischke: Ob das Spannungsfeld zwischen Pressefreiheit und Persönlichkeitsrechten heute größer ist als früher, das können Anwälte oder Kollegen aus dem Boulevard besser einschätzen. Aber ich denke schon, dass Politiker, Unternehmen und sonstige Personen des öffentlichen Lebens heute sensibler im Umgang mit der Presse sind als früher. Denn das Internet vergisst nicht, erst recht keine kontroversen Aussagen. Da sehe ich aber auch unsere Branche in der Pflicht, etwa Aussagen nicht für eine knackige Headline aus dem Zusammenhang zu reißen.

Hat eine klassische Mediengattung wie das „Interview“ in Zeiten von Twitter ausgedient, wenn Öffentlichkeitsarbeiter authentische und impulsive Aussagen des Interviewten gerne gegen weichgespülte Statements tauschen oder kritische, zweideutige Passagen ganz streichen?

Ben Krischke: Keineswegs, das Interview ist als Gattung auf jeden Fall noch zeitgemäß. Der große Vorteil liegt eben darin, dass man kompakt über viele Themen sprechen kann. So wie Sie und ich gerade. Dass es sich in Deutschland etabliert hat, Interviews vor Veröffentlichung autorisieren zu lassen, mag oft lästig sein. Aber es ist nicht per se ein Problem für den unabhängigen Journalismus. Und gestatten Sie mir vielleicht, an dieser Stelle auch Mal eine Lanze für die Kollegen aus der PR zu brechen: Die meisten Öffentlichkeitsarbeiter – zumindest jene, die ich kenne – arbeiten sehr professionell und wissen ganz genau, dass es auch bei der Autorisierung Grenzen gibt. Die meisten Diskussionen, die ich bei dem Thema führe, betreffen lediglich Nebensätze oder einzelne Begriffe, die in einem persönlichen Gespräch mal lapidar dahingesagt werden. 

Der Satiriker Jan Böhmermann hat sich per Twitter beschwert, dass ein Interview von ihm in der ‘Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung‘ kurz vor der Veröffentlichung zurückgezogen wurde. Sitzen Prominente, Politiker und Personen des öffentlichen Lebens am längeren Hebel, wenn ihre Interessen nicht bedient werden?

Ben Krischke: Zumindest sind ihre Möglichkeiten, sich zu wehren, Informationen zu verbreiten oder ihre Interessen in eine breite Öffentlichkeit zu tragen, zahlreicher als früher. Das mag man im Einzelfall bedauern, aber das ist eben der Lauf der Zeit. Was zwischen Jan Böhmermann und der FAS gelaufen ist, weiß ich nicht. Daher möchte ich mir da auch kein finales Urteil anmaßen. Nur eine allgemeine Bemerkung vielleicht: Ich finde es stilistisch immer fragwürdig, wenn jemand seine Follower mobilisiert, weil er oder sie sich ungerecht behandelt fühlt. 

Beim Pianisten Igor Levit entschuldigte sich die Chefredaktion der „Süddeutschen Zeitung“ wegen eines polemischen Beitrags, der „Spiegel“ wurde wegen Interviews mit der Virologin Sandra Ciesek und der ehemaligen FDP-Politikerin Silvana Koch-Mehrin als frauenfeindlich kritisiert. Gefährden Twitter-Tweets unabhängigen Journalismus und laufen Journalisten Gefahr, zu Erfüllungsgehilfen von einflussreichen Personen und Institutionen zu werden? 

Ben Krischke: Generell würde ich sagen, dass Twitter keine Gefahr für den unabhängigen Journalismus darstellt, auch, wenn manche Kritik eindeutig über die Stränge schlägt und Shitstorms an der Tagesordnung sind. Und ja, es gibt in den sozialen Medien auch Einlassungen, die strafrechtlich relevant sind. Dann ist das aber Sache der Gerichte. Was wir auf Twitter erleben, scheint mir eher symptomatisch für die Debattenkultur im Land. Manche Menschen befinden sich derzeit in einem ständigen Erregungszustand. Eine Folge ist, dass Aussagen maximal negativ interpretiert werden, um sich dann infolge der eigenen Interpretation zu echauffieren. Wenn sich Journalisten aufgrund solcher Mechanismen nicht mehr trauen, kritischen Journalismus zu machen, dann wäre das wirklich ein Problem. Aber so weit sind wir, denke ich, noch nicht. 

Zum Glück. Diktieren statt Debattieren, Verteufeln statt Meinungsvielfalt scheinen dennoch „en vogue“ zu sein. Ist kritischer, investigativer Journalismus noch möglich, wenn ein Hans Leyendecker für eine geheime Quelle einer RAF-Geschichte von 1993 vom ‘Spiegel‘ heute gebrandmarkt wird?

Ben Krischke: Über den konkreten Umgang mit Leyendecker lässt sich diskutieren. Wenn er sich vom ‘Spiegel‘ ungerecht behandelt fühlt, kann ich das aus einer menschlichen Perspektive gut nachvollziehen. Wahr ist aber auch, dass der Artikel damals schon bald umstritten war, was seiner Karriere nicht geschadet hat. Rudolf Seiters und Alexander von Stahl haben da ganz andere Erfahrungen gemacht. Ich finde es erstmal gut, dass der ‘Spiegel‘ seine publizistische Vergangenheit auch kritisch aufarbeitet. Ich glaube aber nicht, dass dieser eine Fall negativ auf den investigativen Journalismus in Gänze abstrahlt. Dafür gibt es zu viele investigative Erfolgsgeschichten. Und an einigen davon war Leyendecker beteiligt. 

Welchen Anteil haben schwarze Schafe wie Claas-Hendrik Relotius oder Tom Kummer daran, dass Medien heute derart kritisch beäugt werden?

Ben Krischke: Tom Kummer, aber vor allem Claas Relotius sind zumindest extreme Beispiele redaktionellen Versagens. Und die Frage ist berechtigt: Wie kann es sein, dass einer wie Relotius über Jahre hinweg Geschichten erfindet und die beim ‘Spiegel‘ das nicht merken? Offenkundig scheint es da Fehler im System zu geben. Und diese Fehler muss man finden, analysieren und aus ihnen lernen. Ob wirklich daraus gelernt wurde, da habe ich, mit Blick auf die gesamte Branche, manchmal meine Zweifel. Aber, dass der ‘Spiegel‘ eine Aufklärungskommission gründet, kann doch ein guter Ansatz sein, um Vertrauen zurück zu gewinnen. Ohne das Vertrauen unserer Leser, könnten wir morgens auch einfach im Bett bleiben. 

Als Vollblutjournalist arbeiten Sie seit zwölf Jahren für Tageszeitungen, Magazine und Branchendienste, heute als festangestellter Redakteur bei ‘Meedia‘. Was waren Ihre extremsten Erfahrungen, wie Ihre journalistische Arbeit eingeschränkt oder gar unterlaufen wurde? 

Ben Krischke: Ich habe in den vergangenen Jahren keine tiefgreifenden, negativen Erfahrungen als Journalist gemacht. Ich wurde als Reporter auf einer linken Demo in München mal bedrängt und ich bekomme auch Gegenwind für Meinungsbeiträge. Im Vergleich zu dem, was Kollegen erleben müssen, die beispielsweise in der Neonazi-Szene recherchieren oder als Kriegsberichterstatter im Ausland arbeiten, ist das nicht der Rede wert. 

Was glauben Sie: Wie wird sich unabhängiger Journalismus in den nächsten zehn Jahren verändern, wird er noch digitaler und interessengeleiteter?

Ben Krischke: Digitaler wird der Journalismus auf jeden Fall. Das ist ein Wandel, der längst begonnen hat. Und dadurch entstehen auch tolle, neue Möglichkeiten, wie sich Geschichten erzählen lassen. Ansonsten hoffe ich einfach, dass kluge Leute noch klügere Konzepte entwickeln, wie der kritische Journalismus unabhängig vom Zeitgeist und sonstigen äußeren Einflüssen bleibt; also auch von fremden Interessen. Denn allen Unkenrufen zum Trotz, gibt es da draußen viele gute Journalisten und sehr wohl auch ganz viele Medien, die unterschiedliche Perspektiven abbilden. Wenn ich mir ansonsten etwas wünschen dürfte, dann wäre es, dass der öffentliche Diskurs wieder stärker in sachliche Debatten mündet. Davon würden alle profitieren, nicht nur die Journalisten.

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